Sonntag, 7. Juli 2013

Ankommen - eine Illusion?

Kommen wir jemals wirklich an?

Das Gefühl hatte vermutlich jeder mal. Man setzt sich ein Ziel, erreicht es. Es setzt ein Gefühl der Zufriedenheit vielleicht auch Erleichterung ein, aber das erwartete Gefühl, dass dann endlich "Ruhe einkehrt" bleibt meist aus. Bald stehen neue Problemstellungen oder Aufgaben an, die es zu erreichen bzw. zu lösen gibt. Es müssen nicht immer Ziele sein, auch verschiedene Lebensabschnitte sind häufig mit Erwartungen verbunden. Nach der Schule, Ausbildung oder Studium wird es leichter, dann bin ich unabhängiger, dann verdiene ich endlich Geld und hab mehr Möglichkeiten. Oder auch bei einer neuen Partnerschaft, bei der Familiengründung, "Wenn die Kinder erstmal aus dem Haus sind", "Wenn ich erstmal Rentner bin..." ... dann wird alles anders, besser, leichter, planbarer usw. Oder dann werde ich dieses oder jenes tun. Dann habe ich es geschafft! Wie viele Leute kenne ich, die die Tage bis zur Rente zählen...

Heute habe ich mich mit jemanden unterhalten, der unzufrieden mit der momentanen Arbeitssituation ist. Eine unerwartete Umstrukturierung hat die ganze persönliche berufliche Planung komplett in Frage gestellt. 
Da kam mir mal wieder der Gedanke: "Hört das denn niemals auf? Kann nicht einmal etwas glatt laufen, so wie man es geplant oder erwartet hat?" Das hat man sich doch verdient, nach dem ganzen Aufwand, nach der ganzen Arbeit oder Entbehrungen, die man dafür reingesteckt hat. Wann erreicht man - ähnlich wie beim Baseball - den nächsten sicheren Zwischenschritt? Wann erreicht man die "Base" und ist "safe" oder angekommen?  Und zum ersten Mal wurde mir richtig bewusst, dass man niemals wirklich irgendwo ankommt - und dass es auch gut so ist!


Wenn ich so zurückschaue, gab es immer Lebensphasen, in denen ich auf etwas gewartet habe oder Ziele,  auf die ich hingearbeitet habe. Damit war immer eine Erwartung an die Zukunft geknüpft. Zum Beispiel "Wenn ich erstmal zuhause ausgezogen bin, dann kann ich alleine entscheiden." oder "Nach dem Studium, wenn ich eine Stelle gefunden habe, habe ich diese Zeit der Unsicherheit geschafft. Dann kehrt etwas Ruhe ein, Stabilität, dann kann ich planen, dann verläuft mein Leben wieder in geordneten Bahnen". Wie oft ich gedacht habe, dass das meine letzte Prüfung im Leben war (ich habe das nach der Ausbildung tatsächlich geglaubt!). 

In Wahrheit geht es dann aber von Vorne los, mit neuen Aufgaben und Erwartungen, die an einen gestellt werden: Welche Kompetenzen fehlen noch und muss ich mir noch erarbeiten? Auch ein neues Ziel muss irgendwann her: In welche Richtung will ich mich weiterentwickeln, wo ist meine berufliche Nische, oder doch erstmal Familienplanung?  
So glücklich ich nach dem Studium war, mein Traumziel erreicht zu haben. So schnell setzt auch mit der Zeit die Ernüchterung ein. Und jetzt? Was willst Du jetzt? Jeder braucht eine Richtung, in die es weitergehen soll. Sonst bleibt man stehen. Für eine gewisse Zeit kann das sicherlich gut sein - muss sogar auch sein um seine Reserven wieder aufzufüllen. Sich einfach mal erholen, Kraft sammeln, durchatmen und in sich reinhören. Bis einen die Unruhe packt und man rastlos wird. Es bleibt einem nicht viel Zeit, bis jemand die Frage stellt, vor der ich mich schon seit ner Weile drücke. Wie geht's jetzt bei Dir/Euch weiter?

Ich habe folgende Sätze schon so oft gehört oder selbst gedacht: "Wenn ich erstmal Rentner bin, dann werde ich...", "Wenn ich nach dem Studium fertig bin und eine Stelle finde, kommt mehr Stabilität und wir können besser planen..." Rückblickend ist es eigentlich nie so gekommen. Es kamen immer neue Situationen, die man nicht beeinflussen konnte: Stellenwechsel, Probezeiten, unerwartete oder unerfüllte Schwangerschaften, im Rentenalter gesundheitlich oder finanziell nicht in der Lage sein für die Dinge, die man sich vorgenommen hatte (vorausgesetzt, dass man hat das Rentenalter erreicht hat) aber auch einfach nur private oder berufliche Rückschläge, die einen unerwartet treffen. 

Im ersten Moment hat mich der Gedanke ermüdet, dass man wohl nie an der Spitze des Berges angekommen ist. Wofür dann der ganze Aufwand? Wozu rackerst Du Dich so ab? Andererseits, wäre es nicht traurig, wenn man tatsächlich ankäme? Wenn danach nichts Neues mehr käme, wofür man morgens aufstehen kann? Ich glaube, es war Einstein, der sagte, dass wir leben sollten, als würden wir morgen sterben aber wir sollen lernen, als würden wir ewig leben. Und ich finde, dass er Recht hatte. Höre niemals auf zu lernen, Dich weiterzuentwickeln. Ich möchte niemals zu den Leuten gehören, die sagen: "Das muss ich in meinem Alter nicht mehr lernen". Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört - und er macht mich traurig und manchmal sogar wütend. Ich habe mir vorgenommen, diesen Satz niemals auszusprechen. In dem Moment hat man aufgegeben, bleibt stehen. Man muss nicht alles können und alles wissen, aber es sollte immer etwas geben, für das man sich interessiert, worauf man neugierig ist. Wir können oft so viel mehr, als wir uns selbst zutrauen. Es ist eher unsere Einstellung, die uns im Weg stehen kann. Was auf uns zukommt, können wir nicht steuern, unsere Einstellung und den Umgang mit solchen Situationen aber schon.

Also sollte bei Euch mal das Gefühl aufkommen, dass Ihr niemals richtig ankommt, dann denkt dran, dass es nichts mit Versagen zu tun hat, sondern für Wachstum und Weiterentwicklung steht und dafür dass das Leben immer spannend bleibt...

Die Fotos habe ich gestern übrigens im "Garten des Himmlischen Friedens" (Chinesischer Garten) in Frankfurt gemacht....