Dienstag, 28. November 2017

KonMari und Minimalismus: Die Reise geht weiter - Teil 2

Die KonMari-Methode - und spürst Du schon was?

In meinem letzten Blog-Eintrag habe ich Euch ausführlich die Aufräum- und Ausmistmethode von Marie Kondo beschrieben. Ich bin noch weit davon entfernt, alle Bereiche unserer Wohnung durchgearbeitet zu haben. Idealerweise soll man dies in einem Rutsch durchziehen. Vermutlich damit man den dabei entstehenden Motivationsschub besser nutzt und nicht mittendrin wieder aufhört. Bei mir ist es eher ein Prozess, der in Schüben kommt.

Äußere Ruhe überträgt sich auf innere Ruhe

Kennt Ihr das, dass Ihr bei einer wichtigen Aufgabe erst mal den Schreibtisch aufräumt und sauber macht, bevor Ihr anfangen könnt? Ich meine hier nicht die sog. "Aufschieberitis", dass man unangenehme Aufgaben wie die Steuererklärung aufschiebt und stattdessen Fenster putzt. Sondern dass man erstmal alle störenden Ablenkungen entfernt, damit man sich besser konzentrieren kann. So geht mir das oft in Bezug auf die Wohnung. Es gibt immer mal wieder Phasen, in denen ich unzufrieden bin oder es mir einfach nicht gut geht. Ich kann dann manchmal gar nicht greifen, was genau die Ursachen sind. Oder es steht eine schwierige Entscheidung an oder manchmal fühle ich mich in einem Raum einfach nicht mehr so richtig wohl. Dann packt es mich wie in dem Beispiel mit dem Schreibtisch. Ich kann dann keinen klaren Gedanken fassen und muss einen Bereich, der mich stört, ausräumen, säubern und ausmisten. Während des Aussortierens entsteht zwar erstmal mehr Chaos als vorher und ich habe dann immer einen kurzen Tiefpunkt, an dem ich fast bereue, dass ich damit angefangen habe. Wenn ich aber fertig bin und die aussortierten Dinge aus dem Raum geschafft habe, spüre ich eine tiefe Zufriedenheit und Leichtigkeit, wenn ich mir den aufgeräumten und sauberen Bereich anschaue. Noch Tage später muss ich manchmal lächeln, wenn ich an dem Regal oder Schrank vorbei gehe. Als wenn man in einem Raum wieder richtig atmen kann. Und dann kommen auch meine Gedanken zur Ruhe. 

Am Anfang war mir dieser Zusammenhang gar nicht bewusst. In den letzten beiden Jahren gab es bei mir viel Bewegung im persönlichen aber auch im beruflichen Bereich. Rückblickend ist mir aufgefallen, dass der jeweilige Zeitpunkt für den Aufräum-Impuls selten zufällig kam. Die äußere Ruhe und optische Klarheit überträgt sich bei mir also auch in eine innere, mentale Ruhe und Klarheit. Mittlerweile macht dies für mich auch Sinn. Wenn ich Ausmiste, muss ich eine Entscheidung treffen, ob ein schon lange ungenutzter Gegenstand noch einen Sinn und Zweck in meinem Leben erfüllt. Ob es z.B. nützlich ist oder mir einfach nur Freude bereitet. Dafür muss ich mich aber auch jedesmal fragen, was gerade sinnvolle Inhalte oder Prioritäten in meiner aktuellen Lebensphase sind. Über solche Gegenstände und Kategorien mache ich mir möglicherweise viel bewusster, was ich eigentlich gerade will und was nicht. 
Ein kleines Beispiel: Erst kürzlich habe ich mein Bücherregal aussortiert. Dabei bin ich über eine Reihe von Koch- und Backbüchern gestoßen, die ich noch nie oder schon seit Jahren nicht mehr benutzt habe. In erster Linie habe ich nach der KonMari-Methode entschieden, ob mir das jeweilige Buch Freude bereitet, weil es zum Beispiel optisch ansprechend gestaltet ist, oder verständliche Rezepte enthält. Gleichzeitig habe ich aber auch eine Entscheidung über meine zukünftige Ernährungsweise getroffen. Bei Büchern mit Party- oder Cocktailrezepten treffe ich eine Entscheidung, ob ich Zukunft plane eine größere Gruppe von Freunden oder Familie zu bewirten. Dieselbe Entscheidung treffe ich, wenn ich entscheide, wie viel Geschirr oder Besteck ich insgesamt behalten möchte. Es geht also nicht nur darum, ob mir das Muster oder die Form gefällt. Mithilfe dieser Entscheidungsprozesse schärfe ich mit jedem banalen Gegenstand und mit jeder Kategorie, die ich durchgehe, auch meine eigene Identität und meine aktuellen Prioritäten im Leben. 

Fantasy-Self : Mein Phantasie-Selbst


Das erklärt für mich auch, warum es mir bei einigen Dingen so leicht fällt diesen wegzugeben und warum ich an manchen Dingen so hänge, obwohl ich sie seit Jahren nicht benutze und auch nicht vorhabe, sie in nächster Zukunft zu nutzen. Warum fällt es mir so schwer? Weil sie stellvertretend für Bereiche in meinem Leben stehen, die ich mir wünsche. Wenn ich diese Partyrezepte und Servierschalen behalte, dann kann ich auch das Bild von mir behalten, das für die große Gastgeberin steht, die viele Freunde hat und niemals einsam ist. Dabei koche ich eigentlich nicht mal für mich selbst. 
Manchmal brauche ich mehrere Anläufe, bis ich mich von einem Gegenstand trennen kann. Das kann auch ein Kleidungsstück sein. Das Bild von mir, das mit hochhackigen Schuhen in einem eleganten Kleid ins Theater gehen wird. Tatsächlich sind die Schuhe aber so unbequem, dass am Ende doch ein anderes Kleidungsstück mit passendem Schuhwerk gewinnt. Oder die Hose, in die man wieder reinpassen wird, wenn man erstmal abgenommen hat. Ich denke, jeder kennt solche Beispiele. 

Ich habe schon einige Youtube-Videos gesehen, die dieses Phänomen beschrieben haben. Sie nennen es das "Fantasy-Self". Also das Phantasie-Selbst. Wenn mir also beim Aussortieren die Entscheidung schwer fällt und ich nicht weiß warum, hinterfrage ich, ob es für eine Phantasievorstellung von mir steht und wie realistisch es ist, dass diese Situation eintreten wird. Dann fällt mir die Entscheidung oft leichter. Bei einem Beispiel aus einem Video habe ich mich ertappt gefühlt. Manchmal hat man Dinge, die für etwas stehen, was man gerne wäre oder für ein Statussymbol, womit man andere beeindrucken möchte. Manche haben zum Beispiel viele Bücher, die sie aber noch nie gelesen haben. Sie würden sich selbst aber gerne als intellektuell oder belesen sehen oder wollen gerne so gesehen werden. Oder ob es die Schallplattensammlung oder das Ausstellen von teuren Gitarren oder Kameras ist. Da habe ich mich bei Gegenständen ertappt gefühlt, die für künstlerische oder kreative Aktivitäten stehen. Ob Zeichnen, Fotografie oder Handarbeit. Gerade weil ich hier viele Hobbies angefangen aber nie lange weiter geführt habe. Brauchte ich wirklich als Zeichen-Anfängerin das digitale Zeichentablett? Mittlerweile habe ich es weg gepackt. Habe es im Studium phasenweise stark genutzt. Später sah es auf dem Schreibtisch einfach nur "cool aus". Dieser Teil meiner Minimalismus-Reise - also meiner "Reise mit weniger" - hat mich am meisten wach gerüttelt. Dadurch verhilft mir das Aussortieren zu wesentlich mehr Klarheit und ich miste nicht nur meine Wohnung aus sondern schaffe auch Klarheit in mir selbst.

Wohin mit dem ganzen Kram?

Das Konzept des Phantasie-Selbst greift auch bei meinem nächsten Problem. Was macht man mit den Bergen von aussortierten Dingen? Ich war richtig erschrocken, wie viele Tüten an Kleidung oder Gegenständen zusammen kommen. Allein bei den Büchern waren es über 60 Exemplare! Der erste Gedanke ist erstmal, dass man ja alles verkaufen müsste. Da kommt bestimmt einiges zusammen. Von diesem Phantasie-Selbst habe ich mich mittlerweile verabschiedet. Kleidung bringe ich zur Altkleidersammlung. Ich sehe mich einfach nicht dabei, Stunden lang Bilder von den Teilen zu machen, diese im Internet mit langen Beschreibungen einzustellen. Dann muss ich noch Verpackungsmaterial für den Versand besorgen und zur Post bringen. Oder bei Selbstabholung wartet man vergeblich auf die vermeintliche Käufer, die dann doch nicht kommen. 
Dann kommt der Gedanke mit dem Flohmarkt. Da könnte man auf einem Schlag alles loswerden - ganz ohne Versand. Dann erinnere ich mich wieder an die ganzen Kartons im Keller, die bei jedem Umzug von einer Wohnung in die nächste gewandert sind. Man (also unser altes Phantasie-Selbst) wollte ja mal auf dem Flohmarkt die alten Zeitschriften verkaufen, die sich Dank Abos angesammelt haben. Zum Glück hatten wir vor dem letzten Umzug einen Wasserschaden im Keller, sodass dann das meiste in den Müll gewandert ist. Sonst würden sie vermutlich immer noch im Keller verstauben. 
Meine Erfahrung ist, dass die Sachen so schnell wie möglich aus der Wohnung geschaffen werden sollten. Dann besteht auch nicht die Gefahr, dass man wieder etwas raus holt und sich umentscheidet. Die Zeit und Energie, die damit verbunden wäre, die Dinge zu verkaufen, sind es mir nicht Wert. Wir haben die Bücher zu Oxfam gebracht. Dort werden sie günstig verkauft und der Erlös für gemeinnützige Zwecke verwendet. Die Bücher, die ich dort nicht abgeben kann, stelle ich in offene Bücherschränke in Frankfurt. Da kann sich jeder was rausnehmen oder reinstellen. Bei sehr wertvollen Dingen ist das natürlich etwas anderes. Aber da ist die Menge dann ja auch überschaubarer.

Mehr Überblick - leichtere Entscheidungen

Einen weiteren positiven Effekt aus den Berichten anderer kann ich bestätigen. Es fällt mir morgens leichter rauszusuchen, was ich anziehen möchte. Früher habe ich mich lange gequält und vor einem Schrank voller "nichts zum anziehen" gestanden. Und dann war ich mit der Wahl auch nicht wirklich zufrieden. Meist bin ich länger liegen geblieben, weil es mir schon davor gegraut hat. Dann war die Laune noch schlechter, weil man morgens so viel unnütze Zeit (und Energie) verschwendet hat. Jetzt habe ich einen viel besseren Überblick, was ich eigentlich besitze. Beim Ausmisten habe ich Kleidungsstücke wieder gefunden, an die ich mich nicht mal mehr erinnert habe und die ich jetzt wieder gerne und regelmäßig trage. 

Mein Kauf- und Konsumverhalten

Wenn man die KonMari-Methode durchführt und dabei den Berg von Dingen sieht, die man besitzt und sich dann noch die Menge der aussortierten Gegenstände anschaut, die man mühsam loswerden muss, hinterlässt das Spuren. Im Nachhinein ärgere ich mich über mich selbst über meine sinnlosen Spontankäufe oder wenn ich auf vermeintliche Schnäppchen reingefallen bin. "Für den Preis geht die Bluse ja". Das Dumme ist, dass ich nach einem Jahr nicht mehr weiß, dass diese Bluse zwar nicht perfekt passt, aber für den günstigen Preis ganz ok gepasst hat. Die Tatsache bleibt, dass sie eben nicht perfekt passt und ich sie deswegen nie anziehe. 
Heute versuche ich viel bewusster einzukaufen. Brauche ich das wirklich, oder ist es nur ein Frustkauf, weil ich nichts passendes gefunden habe und nicht mit leeren Händen nach Hause fahren möchte? Passt es zu meiner vorhandenen Garderobe? Gibt es passende Anlässe, es zu tragen? Welches Teil kommt dafür weg! Und natürlich die ultimative Frage "Macht es mich glücklich?" Wenn ich diese Frage nicht mit einem klaren Ja beantworten kann, bleibt das Teil im Laden.

Das selbe gilt auch für mein Online-Kaufverhalten. Mittlerweile lege ich erstmal die gewünschten Artikel in die Wunschliste und dann schlafe ich mindestens eine Nacht darüber. Manchmal erinnere ich mich am nächsten Tag nur noch an zwei von drei Teilen. Dann wird dieses gleich gelöscht. Es ist aber auch schon mal vorgekommen, dass ich den Kauf komplett vergessen habe. Dieser Glückshormon-Effekt, der mithilfe von ein paar Klicks zu Spontankäufen führt, die später einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, scheint bei mir dadurch deutlich verringert zu werden. 

Der Prozess braucht Zeit und Geduld

Mittlerweile lasse ich mir Zeit, die einzelnen Bereiche durchzugehen. Ich habe auch mehr Geduld und Verständnis mit mir selbst. Wenn ich noch nicht bereit bin, etwas wegzugeben, dann ist das ok. Bei manchen Kleidungsstücken fällt es mir beispielsweise sehr schwer und ich rede mir ein, dass ich es ganz bestimmt nächste Woche anziehen werde und lege es im Schrank absichtlich nach ganz oben auf den Stapel. Im Laufe der Woche merke ich aber, dass ich dann doch lieber andere, darunter liegende Teile rausfische. Dann kann ich auch besser nachfühlen, was das Kleidungsstück in mir auslöst. Der Pulli ist so hübsch aber er kratzt immer so. Oder er ist viel zu warm fürs Büro. Dann denke ich gar nicht lange nach und es landet dann nach einiger Zeit doch noch in der Tüte für die Altkleidersammlung.

Es lohnt sich

Insgesamt hat mir diese bewusstere Auseinandersetzung mit meinem Besitz geholfen, unnötige Ablenkungen und Unruhe in meinem direkten Umfeld zu reduzieren. Räume, in denen ich mich wohl fühle, tragen zu meiner Erholung und Entspannung bei. Das Treffen von (aufgeschobenen) Entscheidungen gibt mir wieder ein Gefühl von Kontrolle und Überblick. Die äußere, visuelle Klarheit hilft mir mich über innere Werte, Prioritäten und Ziele klarer zu werden. 
Insgesamt ist es also ein Prozess, der zwar Zeit und Energie kostet, der sich aber lohnen kann. Also nur Mut: Stell Dich Deinem Phantasie-Selbst und gib den Teilen Deiner Identität Raum, die wachsen sollen. 

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